Meine doppelte Liebe

Wenn Orestes mich anfaßt, durchzuckt es mich, ich möchte die Augen schließen und fliegen. Das ist der Eliza-Dünnhorn-Effekt. Das denke ich mir, Eliza Dünnhorn kann ich nicht mehr danach fragen, aber sie hatte es mir erklärt, diese schöne alte Dame, die immer ein weißes Häubchen und weiße Spitzenkragen trug und ihr Haar in ein Netz steckte.
Ich mußte auf meinen Klavierlehrer warten, da fragte sie mich nach Matti und ob ich unter Strom stünde, wenn er mich mit den Fingerspitzen berührte oder mir die Hand gäbe. Ich mußte lachen, na, unter Strom nun gerade nicht.
Da erzählte sie mir, daß diese Elektrizität, dieser unsichtbare Strom das einzige untrügliche Zeichen von Liebe sei. Mit dem Menschen mußt du leben, sagte sie, ein elektrischer Schlag, wenn solch ein Mann dich berührt, schon wenn er deinen Fuß unter dem Tisch unbeabsichtigt berührt. Du mußt die Augen schließen wollen und alles vergessen, jede Etikette, das Benehmen und alles, was du gelernt hast an Moral.
Es hatte einen jungen Freiwilligen in ihrem Leben gegeben, im Jahr 1918, er war neunzehn Jahre alt, vier Wochen hatte sie ihn gekannt, in den vier Wochen hätte sie nicht gewußt, ob sie überhaupt gegessen, getrunken, geschlafen habe. Er war gefallen und hatte von ihrer Zuneigung nie erfahren, aber sie liebte nur ihn, heute noch.
Dünnhorn, mit dem sie über fünfundfünfzig Jahre verheiratet war: eine Ehe, die aus Gewöhnung, Anpassung und Verschweigen bestand.
„Glauben Sie mir, Fräulein Erle, das gibt es nur einmal, der Mensch erlebt das nur ein einziges Mal, und wenn er ewig leben sollte. Wenn man das erlebt, dann weiß man erst, was Gott unter Liebe verstanden hat, als er sich dieses Gefühl ausdachte, dieser Effekt hat mit einem erogenen Stromkreis zu tun." Sie verdrehte die Augen, seufzte und dachte sicher an den jungen Freiwilligen des Jahres 1918.
Das ist nach ihr der Eliza-Effekt, den ich belächelt habe und den ich nun erlebe. Und Orestes scheint ihn auch zu erleben. „Aber sagen Sie nichts dem Herrn Dünnhorn", hatte Eliza gebeten...